Autor: Siegfried Walz
Ein Sommersitz nahe Zingst an der Ostsee ist die erste Unterkunft für Vikare, die das neu gegründete Seminar besuchen. Später zieht das Seminar nach Finkenwalde, in eine von den Nazis aufgelöste Privatschule.
Die Verbindung von Lehre und Leben in Finkenwalde wurde von Bonhoeffer bewusst gewählt. Die Vikare mussten sich darüber im Klaren werden, dass sie einer Notkirche angehörten und nicht damit zu rechnen hatten, wohlbezahlter Träger eines kirchlichen Amtes zu werden.
Vor seiner Rückreise aus London hatte Bonhoeffer mehrere Klöster und Kommunitäten besucht. Manches hatte er für das Seminar von dort entlehnt: Meditation, Morgen- und Abendandacht, Schweigezeiten und die Regel, dass nie über einen nicht anwesenden gesprochen werden soll.Aber auch in anderer Hinsicht ist Bonhoeffer unkonventionell. Bei schönem Wetter ging es mit dem Kurs ans Meer. Er organisiert Literatur- und Musikabende, spielt mit den Seminarteilnehmern Handball. Bonhoeffer stellt dem Seminar alles zur
Verfügung was er hat: seine Gospelplatten aus USA, seinen Bechsteinflügel, seine Bibliothek.
Die Regierung änderte im Sommer 1935 ihre Kirchenpolitik. Hitler kommt der Bekennenden Kirche insofern entgegen, als er die radikalsten der Deutschen Christen aus dem Verkehr zieht und Reichsbischof Müller fallen lässt. Der Kirchenstreit soll nicht zum Hemmschuh der Entwicklung des deutschen Volks werden. Er ordnet die Bildung von Kirchenausschüssen an, die sich aus Vertretern der Bekenntniskirche und gemäßigten Deutschen Christen zusammensetzen soll. Obwohl die "nationalsozialistische Volkswerdung auf der Grundlage von Rasse, Blut und Boden" bejaht wird, folgen viele Gemeinden der Einladung.
Den 30. Geburtstag feiert Bonhoeffer im Kreis der jungen Theologen in Finkenwalde. Er erzählt von seinen Auslandsaufenthalten. Reisefieber kommt auf. Kurzerhand wird über verschiedene Verbindungen eine Reise nach Schweden organisiert, noch ehe staatliche Stellen reagieren können. Den Gastgebern ist die Lage der Seminaristen aus Finkenwalde klar. Lutherische Professoren in Schweden lehnen die Haltung der deutschen Bischöfe ab.
Bonhoeffer begleitet die Entstehung einer Denkschrift, die zunächst an den Reichskanzler gerichtet war. Man wollte seine Reaktion abwarten, bevor sie in Form einer Kanzelverkündigung veröffentlicht werden sollte.
Die Denkschrift enthielt sieben Abschnitte mit Beschwerden, fragend formuliert, und mit vielen Anmerkungen versehen:
1. Gehört die Entchristlichung des Volkes zum offiziellen Kurs der Regierung?
2. Was meint oder tarnt die Parteiformel vom "Positiven Christentum"?
3. Das neuerliche "Befriedigungswerk" an der Kirche knebelt die Gemeinden.
4. Mit dem Schlagwort "Entkonfessionalisierung" werden Jugend, Schule, Universität und Presse unter dem Bruch bestehender Verträge gewaltsam entchristlicht.
5. Mit der neuen Weltanschauung wird den Menschen ein zum "Judenhass" verpflichtender Antisemitismus aufgedrängt, dem die Eltern bei ihrer Erziehung zu widerstehen haben.
6. Besorgnis erregten die völkische Nützlichkeitsmoral, die Eid-Inflation, Fälschungen von Reichstagswahlen, die in einem Rechtsstaat hohnsprechenden Konzentrationslager und die der richterlichen Nachprüfung entzogenen Maßnahmen der Geheimen Staatspolizei.
7. Bespitzelung und Aushorchen üben unheilvolle Einflüsse aus ...
Sechs Wochen vergingen, ohne dass von Hitler irgendeine Reaktion erfolgte.
Am 17. Juli veröffentlichte die englische "Morning Post" eine Notiz, dass Hitler eine herausfordernde Denkschrift erhalten hätte.
Am 23. Juli veröffentlichte die Basler Nachrichten die gesamte Denkschrift, die bis dato nicht einmal in den Akten aller Verfasser lag, Wort für Wort.
Am 19. Febr. 1937 stirbt einer der Herausgeber unter der Folter der SS im Konzentrationslager Sachsenhausen.
Die Abhaltung von Gottesdiensten und kirchlichen Versammlungen in "unkultischen" Notkirchenräumen wird verboten.
Am 18. Februar wird durch den Innenminister die Bekanntgabe von Kirchenaustritten im Gottesdienst verboten.
Am 9. Juni stellt das Innenministerium die gottesdienstliche Kollekte der Bekennenden Kirche unter Strafe. Sammlungen außerhalb des staatlichen Kollektenplan werden unter Strafe gestellt. Dieses Verbot konnte die Bekennende Kirche und ihre Institutionen empfindlich treffen.
Das Propagandaministerium erklärte am 30. Juli, dass jede vervielfältigte Mitteilung unter das
Schriftleitergesetz falle. Damit wurde die Kommunikation innerhalb der Notkirche erschwert.
Auch die Finkenwalder Rundbriefe waren davon betroffen. Sie wurden fortan handschriftlich abgefasst und mit der Bemerkung
"Persönlicher Brief" versehen.
Die Leitungsorgane der Oppositionskirche werden zerschlagen. Martin Niemöller wird am 1. Juli verhaftet. Er verbringt acht Jahre als "persönlicher Gefangener Adolf Hitlers" im Konzentrationslager. Alle Institutionen und Einrichtungen der Bekennenden Kirche, auf die der Staat bisher keinen Einfluss nehmen konnte, werden verboten. Am 29. Aug. 1937 wird Finkenwalde von der Geheimen Staatspolizei geschlossen. Die Oppositionskirche ist keine Institution mehr, sie besteht nur noch aus einzelnen Menschen.
Einrichtung von Sammelvikariaten. Diese Einrichtung gab es schon zuvor von Minoritätsgruppen.
Ausgehend von der Beobachtung, dass Lehrvikariate bei Pfarrern, die sich in einem legalen Pfarramt befanden,
bisher nirgends beanstandet wurden, auch wenn diese Pfarrer als kompromisslose Bekenntnisprediger bekannt waren,
richtete die Bekenntniskirche solche Ausbildungsstätten in dicht beieinanderliegenden Kirchenkreisen ein.
Bonhoeffers Sammelvikariat befand sich in Hinterpommern in zwei Pfarrhäusern.
Seit dem Sammelvikariat war Bonhoeffers Lebensweise unstet. Bis zu seinem Tod hatte er keinen festen Wohnsitz mehr.
Bücher und Manuskripte waren nie mehr vollständig an einem Ort greifbar.
Hans von Dohnanyi, Schwager von Bonhoeffer und Beamter im Justizministerium in Berlin, nutzt seine Stellung, um Juden vor der bevorstehenden Kriminalisierung zu warnen. Pässe sollen ein "J" erhalten, die Ausreise erschwert oder die Grenzen für sie ganz geschlossen werden. Sabine Leibholz, die Schwester Dietrich Bonhoeffers, flieht mit der Familie Hals über Kopf am 9. Sept. nach England. Gerhard Leibholz ist Jude.