Autorin: Barbara Walz
Theologiestudium
1923 Beginn des Theologiestudiums, der Familientradition entsprechend, zwei Semester lang in Tübingen, wo die Großmutter
Julie Bonhoeffer wohnt und sein Großvater bereits studierte. Er tritt in die Verbindung seines Vaters,
den "Igel" ein (die Brüder halten Verbindungen für überholt).
Dietrich ist "der junge Mann aus gutem Hause". Er will Theologie studieren, um die "Rätsel
seines Lebens" zu lösen, seine Identität zu finden. Er ist ein "frommer Mensch",der in
kein Schema passt, ist von Anfang an ein Außenseiter. Ihm fehlt was die Mehrzahl der Theologiestudenten
mitbringen: die kirchliche Sozialisation.
Obwohl es Pfarrer in der Verwandtschaft gibt, sind Bonhoeffers der Kirche nicht sonderlich verbunden.
Karl Bonhoeffers Rationalismus und Paula Bonhoeffers Vitalität sperren sich gegen eine Kirche,
in der "unter den Talaren der Muff von tausend Jahren" sitzt. Karl Bonhoeffer hat Religion
für sich mehr oder weniger ad acta gelegt. Religion ist, so wie die unbestimmbare Welt der Gefühle, Frauensache.
Paula Bonhoeffer ist tief religiös, aber die aufsäßige Pfarrerstocher von einst schickt ihre Kinder nicht
in die Kirche. Sie übernimmt selbst die religiöse Erziehung.
In den Berliner Akademikerkreisen hat Theologie kein hohes Prestige. Sie ist etwas für Aufsteiger und solche, denen es für eine politische oder wissenschaftliche Karriere nicht reicht. Karl Bonhoeffer ist nicht sonderlich glücklich über Dietrichs Entschluss Theologie zu studieren, die Brüder halten die Kirche für einen kleinkarierten, rückwärtsgewandten Verein. In der kirchlichen Welt ist Dietrich Bonhoeffer nicht zu Hause, in der Welt, aus der er kommt, steht er am Rand.
Studienaufenthalt in Rom (1924)
Hier kommt für Dietrich zusammen, was bisher getrennt war: Kirche und Glauben, Lehre und Leben.
Er erlebt eine Frömmigkeit, die die Sinne nicht ausschaltet oder abstößt. Und erlernt
eine Kirche (die kath.) kennen, die universal ist und zugleich dem persönlichen Glauben eine verbindliche
Ordnung und sichtbare Form gibt.Er ahnt, was in seiner eigenen Kirche nicht stimmt:
"sie war allzulange die Herberge der ungebildeten Aufklärung", bürgerlicher Erbarmungs-
und nationaler Jubelverein. Dietrich muss sich nun nicht mehr in die Grenzen dieser Kirche schicken.
Später wird er seine Kirchenkritik aus dieser Perspektive heraus formulieren.
Ab dem Sommersemester ist Dietrich wieder in Berlin. Seit Rom hat sein Studium eine Perspektive: er wird nicht mehr von der Frage loskommen, was wirkliche Kirche ist.
Promotion (1927)
Promotion über "Sanctorum Communio" ("die Gemeinschaft der Heiligen"). Er beteiligt sich innerlich stark an der theologischen Auseinandersetzung zwischen Adolf von Harnack, dem großen alten Mann der Berliner theologischen Fakultät und Karl Barth. In der Kontroverse zwischen Barth und Harnack spiegelt sich Dietrichs eigenes Dilemma: Harnack steht für Grunewald, Vaters Professoren-Mittwochskreis, bürgerlich humanistische Gehorsamkeit, Versöhnung von Theologie und empirischer Wissenschaft. Barth ist schweizer Arbeitergemeinde, Sozialdemokratische Partei, Existenzfrage des christlichen Glaubens, Abgrenzung von Theologie, Kirche und Bildungsbürgerlichkeit.
Der eine ist Dietrich, der dem Vater und den Brüdern seine akademische Seriosität plausibel machen will,
der andere ist Dietrich, der mit der Theologie einen eigenen, einen anderen Zugriff zur Wirklichkeit sucht.
Aber es geht nicht nur um Dietrichs Theologenidentität. Es geht um die Frage, was die Kirche zur Kirche macht.
Die Kirche, sagt Barth, hat zu viele falsche Kompromisse gemacht, um im wahrsten Sinn des "salonfähig" zu werden.
Sie hat die herrschende Kultur und Gesellschaftsordnung unkritisch
akzeptiert und religiös überhöht. Die einzige Chance für einen Neubeginn besteht in der
Besinnung auf den in der Schrift bezeugten Willen Gottes, der menschlichen Macht- und Ordnungsvorstellungen entgegensteht.
Es ist kein Wunder, dass junge Theologen in Deutschland diesen Gedanken begierig aufgreifen.
In der Kaiserzeit, die alte Ordnungen garantierte, hatte sich die Kirche keine Sorgen um ihr Existenzrecht machen müssen.
Als Staatskirche war sie Teil des herrschenden Machtapparats und
hatte nun in der nachkaiserlichen Zeit gründlich abgewirtschaftet, hatte Einfluss und Privilegien verloren.
Es gab richtige Austrittsbewegungen.
In seiner Dissertation hat Dietrich nicht zum letzten Mal die Theologie, die er entwickelt an seine eigene
Identitätsfindung und persönliche Existenzfrage angebunden. Was der Theologe Bonhoeffer denkt, ist
Bewältigung seiner Lebenspraxis. Damit hängt wohl auch zusammen, dass er nie etwas sagte, was er nicht auch zu leben versuchte.
Dietrich Bonhoeffer war so etwas wie ein frühreifer Überflieger. In drei Studienjahren schrieb
er acht Seminararbeiten und eine Dissertation, machte Examen in einem Alter, in dem andere erst mit dem Studium beginnen.
Außer einem bisschen Kultur und Sport gab es für ihn nur sein Studium.
Für Politik, alternative Lebensformen, außerfamiliäre Beziehungen, eben für das "freie,
wilde Studentenleben" hatte er keine Zeit.
Er beginnt Kindergottesdienst und Jugendkreis zu halten, mit großem Erfolg. die Kinder und Jugendlichen
kommen in Scharen zu ihm.
Theologische Examen
1928: Erstes theologisches Examen. Beginn des Vikariats in der deutschen Gemeinde in Barcelona. Aus dem Elfenbeinturm der wissenschaftlichen Theologie auf den Boden der praktischen Gemeindearbeit.
1930: Zweites theologisches Examen. Beginn des Studienaufenthalts am Union Theological Semenary in New York.